Der Pessimismus des Unglaubens
„Ob nun über die Sommerzeit hinweg eine entspannte Bullenphase folgt oder die negative Volatilität kurzfristig erneut zuschlägt, lässt sich natürlich nicht mit Sicherheit vorhersagen“, so Grüner. „Allerdings spricht die aktuelle Grundstimmung deutlich dafür, dass wir uns in einer ‚frischen‘ Bullenmarktphase befinden.“ Ken Fisher bezeichne diesen emotionalen Zustand als „Pessimismus des Unglaubens“ – die Tendenz, gute Nachrichten zu ignorieren oder positive Fakten ins Negative zu drehen. Dieses Prinzip sei häufig auf gute Wirtschaftsdaten angewendet worden, die in den letzten sechs Wochen veröffentlicht wurden. In den meisten Berichten seien expansive Daten als Auslöser für weitere Zinserhöhungen durch die Fed befürchtet worden, was bedeute, dass noch mehr Probleme auf uns zukommen. „Die sinkenden Öl- und Gaspreise wurden in den Schlagzeilen nicht als Erleichterung, sondern als Symptom einer schwachen Nachfrage – einer beginnenden Rezession – dargestellt“, erläutert Grüner. Das BIP-Wachstum der großen Volkswirtschaften der Eurozone im zweiten Quartal sei ein letztes Aufatmen, bevor die Erdgasknappheit die Produktion ruiniere. Dies sei die gängige Meinung der letzten Woche.
Typisch negative Stimmung
Dies alles erinnere stark an die Stimmung, als sich die Aktienmärkte im Jahr 2020 von den Lockdowns erholten. „Viele meinten, der Aufschwung würde sich als kurzlebig erweisen, und verwiesen auf den rekordschnellen Rückgang der Wirtschaftsdaten und die steigenden COVID-Fallzahlen“, meint Grüner. „Als sich die Aktienmärkte der Eurozone im Sommer und Herbst 2012 von ihrem regionalen Bärenmarkt erholten, verwiesen die Pessimisten auf die immer noch hohen spanischen und italienischen Anleihezinsen, die anhaltende Rezession in der Eurozone, das angeblich erhöhte Grexit-Risiko und vieles mehr. Und nach dem Tiefstand der Aktien während des Bärenmarktes, der die globale Finanzkrise im März 2009 begleitete, verwiesen Pessimisten auf die Rettungsaktionen für die Autoindustrie, kommunale Anleihen, einbrechende Gewinne, die anhaltende Rezession und andere Probleme.“ In allen Situationen hätten die Aktienmärkte den Lärm ausgeblendet und sich auf die Zukunft konzentriert, die sich tendenziell vielversprechender dargestellt hätte, als es sich die Mehrheit der Marktteilnehmer vorstellen konnte.
Fazit
Möglicherweise laufe die Erholungsbewegung weiter, vielleicht kehre die negative Volatilität zurück. Vielleicht werde sogar die globale Zinsstrukturkurve dramatisch invertiert und es komme zu einer schrecklichen Rezession. „An den Aktienmärkten geht es aber nicht um ‚möglicherweise‘ oder ‚vielleicht‘ – es geht um ‚wahrscheinlich’", resümiert Grüner. „Und hier lässt sich im Sommer 2022 feststellen: Es ist wahrscheinlich, dass die Realität weiterhin die niedrige Erwartungshaltung übertrifft. Denn die Schlagzeilen bleiben düster und die Aktienmärkte haben über Monate hinweg offensichtlich negative Tendenzen einpreisen können.“ Alles, was nicht in einer Katastrophe endet, birge jetzt die Chance auf eine positive Überraschung – ein gutes Zeichen für Aktienanleger.
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