Noch immer sind Erkrankungen von Herz und Kreislauf weltweit Todesursache Nummer eins. Das zu ändern, braucht einen langen Atem und sehr viel Grundlagenforschung. Für beides steht das Klaus-Tschira-Institut für Integrative Computerkardiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. In den ersten fünf Jahren hat es sich zu einem Zentrum für kardiale, computergestützte Forschung entwickelt. Möglich ist dies durch interdisziplinäre Zusammenarbeit von Molekularbiologie, Bioinformatik und medizinischer Wissenschaft. Wie die nächsten Ziele aussehen, erklärt der Leiter des Instituts und Professor der Bioinformatik, Christoph Dieterich.

Was fasziniert Sie persönlich an Ihrem Forschungsgegenstand?

Dieterich: Mich fasziniert das Herz als Organ, das 24 Stunden am Tag an sieben Tagen die Woche seine Arbeit tut – und in der Regel merken wir davon gar nichts. Es ist ein ungemein leistungsfähiges, zuverlässiges und robustes Organ, das nicht viel Aufhebens von sich macht, außer vielleicht mal in Form eines freudigen Herzklopfens. Ich möchte verstehen, wie es über all die Jahre eines Menschenlebens schlägt und wie es mit verschiedenartigen Störungen umgeht.

Woran forschen Sie am Klaus-Tschira-Institut für Integrative Computerkardiologie?

Wir haben primär die sogenannte RNA-zentrierte Biomedizin im Blick. RNA, auf Deutsch Ribonukleinsäure, kommt in unseren Zellen vor und ist eine Abschrift aus dem Genom, die dann später in den Eiweißfabriken der Zellen in Proteine umgewandelt wird. In den Zellen des Herzens und des gesamten Herz-Kreislaufsystems gibt es zahlreiche Proteine, die zuvor mehrere Prozessierungsschritte auf RNA-Ebene durchlaufen. Wenn aber beim Zusammensetzen der RNA etwas falsch läuft, dann kann dies zu fehlerhaften Herzmuskelproteinen führen und gravierende Konsequenzen für die Gesundheit haben. Darüber hinaus schlagen wir noch die Brücke in die Medizin-Informatik. Dort werden Daten aus der medizinischen Praxis erhoben, die wir mit Daten auf molekularer Ebene verbinden – zum Wohl von Patientinnen und Patienten.

Wer ist an dem Institut beteiligt?

Im Institut selbst sind aktuell 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Feld der Biomedizinischen Informatik tätig. Wir sind Teil der Kardiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Wir stehen also im engen Kontakt mit der ärztlichen Seite. Darüber hinaus sind wir Teil des Deutschen Zentrums für Herz- und Kreislaufforschung. Außerdem bin ich Standortsprecher für die HiGHmed-Initiative. Das ist ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Projekt für klinischen Datenaustausch und Datenwissenschaften. Das ist wichtig, um den digitalen Austausch zwischen den behandelnden Ärztinnen und Ärzten zu gewährleisten und beispielsweise Therapiefortschritte schneller und besser zu erkennen.

Herzkreislauferkrankungen sind eine der Haupttodesursachen weltweit. Stimmt das?

Statistiken zeigen, dass die Zahlen nicht mehr ganz so dramatisch steigen wie in den letzten Jahrzehnten, aber sie sind nach wie vor die häufigste Todesursache – und nicht Krebs, wie viele vermuten.

Das ist gar nicht so sehr im öffentlichen Bewusstsein. Warum ist das so?

Es gibt gewisse Risikofaktoren für Herzkreislauferkrankungen. Wenn man die klassischen genetischen Risiken weglässt, sind das vor allem Rauchen, Übergewicht, mangelnde Bewegung. Daraus wird dann in der öffentlichen Wahrnehmung schnell der Eindruck, die Betroffenen seien selbst schuld daran. Deshalb werden diese Krankheiten nicht so sehr als Schicksalsschlag wahrgenommen. Unser Ansatz ist umfassender und hat mehr Faktoren im Blick, denn es gibt viele Ursachen für diese Erkrankungen.

Auf welches Ergebnis der ersten Förderphase seit 2015 sind Sie besonders stolz?

Wir sind glücklich darüber, dass wir eine Bioinformatik-Arbeitsgruppe aufbauen konnten, die die RNA in den Fokus nimmt. Viele kennen den Begriff nur aus der gegenwärtigen Diskussion um die Impfstoffe gegen Covid-19. Wir haben die Bedeutung der RNA im Kontext Herz-Kreislauf-Forschung etabliert. Durch viele Kooperationen und Publikationen strahlt das jetzt schon weit über Heidelberg hinaus. Wir sind sehr dankbar für die Förderung der Klaus Tschira Stiftung, ohne die diese Aufbauarbeit nicht möglich gewesen wäre.

Können Sie Beispiele der Anwendung nennen?

Wir haben gerade ein Beispiel publiziert, bei dem wir am Mausmodell zeigen, wie eine RNA-basierte Therapie aussehen könnte. Es gibt Proteine, die in manchen Patienten fehlgeleitet sind oder nicht funktionieren. Beispielsweise kann ein Protein fehlerhaft zusammengesetzt sein, das für die biophysikalischen Eigenschaften der Herzmuskelzelle wichtig ist. Im Mausmodell bewirkten wir durch das Einführen eines RNA-Moleküls, dass dieses Protein wieder funktionierte und dass damit das Organ danach wieder fast so leistungsfähig wird wie zuvor.

Jetzt gibt es einen neuen Antrag, der von März 2022 bis Februar 2027 von der Stiftung bewilligt wurde. Was möchten Sie herausfinden?

Ich habe mir auf die Fahnen geschrieben, dass nach der ersten Phase der Grundlagenforschung jetzt die Zeit gekommen ist, die Erkenntnisse für den Menschen fassbar und therapeutisch anwendbar zu machen.

Wie kamen Sie zur Kardiologie?

Ich selbst bin technischer Biologe und habe mich in meinem ersten Studium hauptsächlich mit der molekularen Ebene befasst. Nach meinem Diplom habe ich noch einen Master in Bioinformatik gemacht. Meine letzte berufliche Station war dann das Max Planck Institut für die Biologie des Alterns in Köln, und da gab es schon Berührungspunkte zum Herzen.

Sie sagen, dass Herzmuskelzellen sowohl durch Fitnesstraining als auch durch krankhafte Einflüsse wachsen und Sie sich fragen, was die Langzeiteffekte auf molekularer und medizinischer Ebene unterscheidet. Wie könnte man das herausfinden?

Wir wissen, dass bei viel Sport oder in der Schwangerschaft das Herz leistungsfähiger wird. Das ist normal. Anders ist das bei durch Bluthochdruck ausgelösten Erkrankungen, die mit einer Vergrößerung des Herzens einhergehen. Wir vergleichen gesunde und krankhafte Veränderungen des Herzens und entwickeln Zellkulturmodelle, in denen wir beide Aspekte untersuchen können. Hier können beispielsweise Veränderungen durch pharmakologische Anreize ausgelöst werden. In einem anderen Beispiel lassen wir das „Herz“ durch ein elektrisches Feld mit 60 beziehungsweise 180 Hertz schlagen, was eine starke Erregung darstellt. Wir betrachten das dann auf molekularer und genetischer Ebene und schauen, wo die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Zustände liegen, wie sie gesteuert werden und wo man Einfluss nehmen könnte in therapeutischer Hinsicht.

Hat sich Ihre Forschung auf den Umgang mit Ihrem eigenen Herzen ausgewirkt?

Absolut, das kann ich sagen. Ich bin deutlich aktiver geworden. Ich radle von zu Hause zur Arbeit, das hätte ich früher bestimmt nicht gemacht. Stichwort Prävention: Man kann etwas tun. Am besten ist immer, gesund zu bleiben, bei allen medizinischen Möglichkeiten.

Als Ziel formulieren Sie, die molekulare Komplexität von Herzerkrankungen durch Systemkardiologie und maschinelles Lernen zu knacken. Was heißt das?

Bisher hatten wir einen überschaubaren Datenrahmen in der klassischen Forschung. Was wir jetzt neu haben, ist die Vielzahl an Merkmalen, das RNA-Muster aus Tausenden von Genen. Dazu kommen die klinischen Parameter und dann noch die Daten von den Patientinnen und Patienten selbst über einen langen Zeitraum. Das ergibt eine riesige Komplexität, die neue Ansätze erforderlich macht. Hierzu zählt unter anderem die Künstliche Intelligenz, die Verknüpfungen ermöglicht, über die wir bisher noch gar nicht nachgedacht haben. Wir dringen viel tiefer ein in die Materie und entwickeln ein viel besseres Verständnis dafür, was wirklich im Körper passiert.

Über Klaus Tschira Stiftung gGmbH

Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940-2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de

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Kirsten Baumbusch
Referentin Kommunikation
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