Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in nächster Zeit in eine Rezession gerät, ist bereits vor den jüngsten Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus wie Schul- und Grenzschließungen spürbar gewachsen. Das zeigen die neuesten Werte, die der Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung liefert. Für die drei Monate von März bis Ende Mai zeigt der Indikator, der die aktuellsten verfügbaren Daten über die Wirtschaftslage bündelt, ein Rezessionsrisiko von 34,8 Prozent an – nach 23,3 Prozent im Februar. Damit weist das nach dem Ampelsystem arbeitende IMK-Frühwarnsystem die aktuelle Lage weiterhin als "gelb-rot" (erhöhte konjunkturelle Unsicherheit bei mehr als 30 Prozent Rezessionsrisiko) aus. Die Warnstufe wird dadurch unterstrichen, dass die statistische Streuung im Indikator – sie spiegelt die Verunsicherung vieler Wirtschaftsakteure wider – mit 17 Prozent relativ hoch ist. Eine akute Rezessionsgefahr signalisiert der Indikator bei Werten über 70 Prozent. Im Prinzip ist der Indikatorwert von dieser Marke also noch ein ganzes Stück entfernt. Allerdings verweisen die Experten des IMK auf die sehr hohe Geschwindigkeit der aktuellen Entwicklungen, die vom aktuellen Indikatorwert noch nicht erfasst seien. "Wir werden derzeit von den schlechten wirtschaftlichen Nachrichten in Zusammenhang mit der Corona-Krise buchstäblich überrollt", sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des IMK. "Die Schließung von Kultureinrichtungen, Bars und das Wegbleiben von Kunden in Restaurants sind in verfügbaren ökonomischen Daten noch nicht enthalten und werden deshalb auch von dem Konjunkturindikator nicht abgebildet. Wenn man die uns zur Verfügung stehenden Informationen jenseits harter Daten mit berücksichtigt, so wird die deutsche Wirtschaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Frühjahrsquartal schrumpfen."

Dass die Rezessionswahrscheinlichkeit deutlich zugenommen hat, beruht nach Analyse des IMK in erster Linie auf den starken Verlusten an den Aktienmärkten. Hinzu kommt die sinkende Zahl offener Stellen und ein Rückgang der Auftragseingänge aus dem Inland. Positive Impulse erhält der Konjunkturindikator durch die noch günstigen Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und eine leichte Aufhellung bei den Auftragseingängen aus dem Ausland im Januar. Diese Faktoren haben verhindert, dass das Rezessionsrisiko stärker stieg. "Aber auch bei diesen Variablen ist in den kommenden Monaten ein weiterer Anstieg des Indikators zu erwarten", so Dullien.

Die bisherige Konjunkturprognose des IMK von einem Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent sei damit nun auch nicht mehr zu erreichen. In der neuen Prognose, die derzeit erstellt wird, rechnen die Düsseldorfer Konjunkturforscher nunmehr mit einem Abschwung für 2020. Erst gegen Ende des Jahres dürfte eine Wachstumserholung einsetzen, bei der zum Teil Konsum- und Investitionsausgaben nachgeholt werden. "Bisher war die kraftvolle Binnennachfrage die entscheidende Stütze der Konjunktur", sagt Peter Hohlfeld, Referatsleiter für Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen am IMK. "Angesichts der Beeinträchtigung der Wirtschaftsaktivität durch das Corona-Virus dürfte aber auch die Binnennachfrage unter Druck geraten und somit die konjunkturelle Dynamik im laufenden Jahr deutlich schwächer als im Vorjahr ausfallen."

In den IMK-Konjunkturindikator fließen zahlreiche Daten aus der Real- und der Finanzwirtschaft ein. Darüber hinaus berücksichtigt das Instrument Stimmungsindikatoren. Das IMK nutzt die Industrieproduktion als Referenzwert für eine Rezession, weil diese rascher auf einen Nachfrageeinbruch reagiert als das Bruttoinlandsprodukt.

Zum IMK-Konjunkturindikator:
https://www.imk-boeckler.de/de/imk-konjunkturampel-15362.htm 

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