Der Fall, der vor dem Gericht verhandelt wurde, drehte sich um einen Kläger, dessen Mutter sich Ende 2017 auf die Flucht begeben hatte und in verschiedenen Orten in Syrien lebte, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beantragt, indem er angab, den Aufenthaltsort seiner Mutter nicht zu kennen. Allerdings offenbarte der Antrag, dass er regelmäßig telefonischen Kontakt mit seiner Mutter pflegte und somit die Möglichkeit hatte, sich nach ihrem Aufenthaltsort zu erkundigen.
Das Gericht stellte fest, dass ein Kind den Aufenthaltsort seiner Eltern kennt, wenn es an einem für ihn bestimmten Ort weiß, wo sich die Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines "verstetigten" Aufenthalts sei dabei nicht ausschlaggebend. Diese Entscheidung begründete das Gericht damit, dass sich die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten seit der Einführung des Kindergelds für "alleinstehende Kinder" im Jahr 1986 durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert hätten.
Entscheidend für die Aufenthaltskenntnis sei die zumutbare Möglichkeit, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit den Eltern aufzunehmen. Erst wenn die Dauer und das Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen, fehle die erforderliche Kenntnis.
Diese Grundsatzentscheidung des Bundessozialgerichts hat weitreichende Auswirkungen auf ähnlich gelagerte Fälle und schafft Klarheit in der Auslegung des Kindergeldanspruchs für Kinder mit im Ausland lebenden Eltern.
Kommentar: Klärung schafft Gerechtigkeit im Kindergeldrecht
Das Urteil des Bundessozialgerichts bringt eine wichtige Klarstellung im Bereich des Kindergeldrechts und setzt klare Maßstäbe für die Gewährung von Kindergeld für Kinder mit im Ausland lebenden Eltern. Die Entscheidung des Gerichts, dass ein Kind den Aufenthaltsort seiner Eltern kennt, wenn es die zumutbare Möglichkeit hat, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt aufzunehmen, berücksichtigt die veränderten Kommunikationsmöglichkeiten durch Internet und Mobilfunk.
Die Begründung des Gerichts, dass die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines "verstetigten" Aufenthalts nicht ausschlaggebend ist, spiegelt die technologischen Fortschritte und die Flexibilität der modernen Kommunikation wider. Diese Herangehensweise schafft eine zeitgemäße Grundlage für die Beurteilung von Kindergeldansprüchen und verhindert, dass Kinder Kindergeld beanspruchen, obwohl sie in der Lage sind, regelmäßig Kontakt mit ihren Eltern aufzunehmen.
Die Feststellung, dass die Kenntnis des Aufenthaltsorts erst dann fehlt, wenn der endgültige Verlust der Eltern-Kind-Beziehung befürchtet werden muss, schützt die Integrität des Kindergeldsystems. Es verhindert, dass Kinder, die tatsächlich den Aufenthaltsort ihrer Eltern kennen oder ermitteln können, unberechtigterweise Kindergeld beanspruchen.
Insgesamt schafft das Urteil eine ausgewogene Balance zwischen den Bedürfnissen der Kinder und der Notwendigkeit, Missbrauch im Kindergeldsystem zu verhindern. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich diese klare Rechtsprechung in der Praxis bewähren wird und ob sie dazu beiträgt, ähnliche Fälle in Zukunft eindeutiger zu entscheiden.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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