Wir schreiben das Jahr 2022 und noch immer ergreifen zu wenige Frauen MINT-Berufe, also Berufsbilder, die sich in die Bereiche Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurwissenschaft und Technik einordnen lassen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Vorbilder für Mädchen in den prägenden Jahren sind rar. Jahrzehnte später sehen sich diese Frauen generell mit der unzureichenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf konfrontiert. Dies sind nur zwei von vielen Gründen für den Mangel an Frauen in MINT-Berufen. Es gibt verschiedene Ansätze, wie dieses Problem gelöst werden kann. Die Top-Down-Strategie, also ein Masterplan, der auf nationaler Ebene die wichtigen Parameter setzt, scheint in weiter Ferne. Demnach bleibt auch vielen Unternehmen im Bodenseekreis nur der Bottom-Up-Ansatz, also der Versuch, vor Ort und aus eigener Kraft eine Veränderung herbeizuführen. Drei Unternehmen, die sich auch an der Berufswahlaktion wissen was geht! der WFB beteiligen, berichten darüber, wie sie das Thema sehen.
„Man hört oft, Informatik sei ein Männerberuf. Dabei stimmt das überhaupt nicht. Dennoch arbeiten mehr Männer als Frauen in diesem Bereich. Durch unsere Teilnahme an Aktionen wie wissen was geht! wollen wir Mädchen zeigen, wie vielfältig IT-Berufe sind und sie so frühzeitig motivieren.“, so Leonie Hlawatsch, HR-Managerin bei doubleSlash in Friedrichshafen. Um das zu schaffen, setzt das Softwareunternehmen auf drei wichtige Faktoren bei der Ansprache von Schülerinnen: informativer Austausch, weibliche Vorbilder und praktische Erfahrungssammlung. „Unsere Entwicklerinnen und Beraterinnen erzählen dabei, was ihnen an ihrem Beruf gefällt, wie der Arbeitsalltag aussieht und welche Perspektiven sich eröffnen, um sich persönlich und fachlich weiterzuentwickeln. Es ist uns dabei sehr wichtig, weibliche Vorbilder zu schaffen, um die Mädchen nicht nur zu motivieren, sondern auch Selbstbewusstsein aufzubauen, sich in den IT-Bereich vorzuwagen. Zusätzlich begleiten wir die Teilnehmerinnen bei praktischen Übungen, damit sie erste Erfahrungen in der Programmierung sammeln können und so einen guten Einblick in die Arbeit als potenziell angehende Informatikerinnen erhalten. Die Möglichkeiten sind hierbei sehr vielfältig: Der Schwerpunkt kann auf der Programmierung liegen, der Kundenberatung, der Konzeption, dem IT-Design, Produktmanagement oder Vertrieb“, so Hlawatsch weiter. „Was man mitbringen sollte? Kreativität, lösungsorientiertes Denken und Teamfähigkeit, um gemeinsam Softwareprojekte zu realisieren und Innovationen voranzubringen. Denn von diesen Fähigkeiten lebt die IT und insbesondere unser doubleSlash-Team. Wir wollen den Mädchen frühzeitig vermitteln, dass sie für uns in diesen IT-Berufen und in unserem doubleSlash-Team unverzichtbar sind. Und wir wollen ihnen zeigen, wie wir mithilfe der Softwareprojekte gemeinsam unsere Zukunft nachhaltig, digital und innovativ gestalten können.“, erklärt Hlawatsch.
Das Konzept eines klassischen Männerberufes betrifft aber nicht nur die als hipp und trendig empfundene IT sondern auch die Metallverarbeitung, eine Branche mit Tradition im Bodenseekreis. In Meckenbeuren stellt die SMW-AUTOBLOK Spannsysteme GmbH Spannlösungen unter anderem für die Automobilindustrie her. Wenn wir über Spannlösungen sprechen, bewegen wir uns thematisch im Bereich Drehen, Schleifen und Fräsen. Auch hier braucht es Vorbilder, die jungen Mädchen vermitteln, dass sie für einen technischen Beruf geeignet sind und dass ein technischer Beruf ihnen wiederum Vorteile bietet. „Meine Eltern arbeiten selbst in einem technischen Beruf und haben mir somit schon einen Grundstein hierfür gelegt. Da ich schon immer Spaß an handwerklichen Tätigkeiten habe, bin ich somit auf den Beruf Industriemechanikerin gekommen“, beschreibt Sabrina Arndt ihren Werdegang. Arndt hat ihre Ausbildung bei SMW-AUTOBLOK absolviert und arbeitet noch heute in dem Unternehmen. „Ich habe hier meine Ausbildung gemacht und bin seither in der Sonderfertigung eingesetzt. Besonders gereizt hat mich neben dem handwerklichen Schwerpunkt das Gehalt und die Arbeitszeiten. Egal ob Schichtarbeit oder geregelte Arbeitszeiten – hier ist fast alles möglich,“ sagt Arndt. Sie spricht dabei einen oft vernachlässigten Vorteil von Metaller-Berufen für junge Frauen an. Die Verdienstmöglichkeiten und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Vollzeit-Büroalltag ist vielerorts mit ungünstigen Arbeitszeiten verbunden. Die alternative Anstellung in Teilzeit bringt wiederum Einschnitte im Gehalt mit sich. Mit dem Kind zum Optiker? Ein Termin zum Reifenwechseln? Dringend den Keller ausräumen? Für berufstätige Frauen in Vollzeit bedeutet dies oft entweder frei nehmen oder das Wochenende dafür aufbringen – zu Lasten der eigenen Erholung. Schichtarbeit hat hier tatsächlich Vorteile wenn es darum geht, Kind und Kegel unter einen Hut zu bringen. Kombiniert mit einer erfüllenden Tätigkeit ist dies für Frauen tatsächlich eine attraktive Perspektive. „Man lernt in der Ausbildung die verschiedenen Bereiche und Abteilungen kennen und es ist jedes Mal ein Erfolgserlebnis, wenn man das selbst hergestellte Produkt in den Händen hält“ , schwärmt Sabrina Arndt.
Auch die wenglor sensoric group aus Tettnang nimmt erneut an der Aktion wissen was geht! teil. Als Entwickler und Hersteller smarter Sensor- und Bildverarbeitungstechnologien hat das familiengeführte Unternehmen großen Bedarf an technisch versierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dabei legt wenglor mit einer Ausbildungsquote von über 10 % besonderen Wert auf die Ausbildung junger Menschen und sichert so die Fachkräfte von morgen. Aus einer Vielzahl von Bewerbungen wählt Louisa Form, Personalreferentin Young Talents bei wenglor, jedes Jahr die passenden Kandidatinnen und Kandidaten für die zahlreichen Ausbildungs- und dualen Studiengänge aus, die das Unternehmen anbietet. Dabei achtet sie auch sehr darauf, dass die Auszubildenden zu den Werten des Hightechunternehmens passen. „Wir sind eine große Familie, in der sich alle gegenseitig unterstützen und füreinander da sind – von den Auszubildenden bis zur Geschäftsführung. Denn gemeinsam schaffen wir viel mehr als eine Person allein.“, beschreibt Form die Firmenphilosophie. Die Gender Gap im MINT-Bereich ist jedoch auch für sie deutlich spürbar. „Besonders im technischen Bereich herrscht immer noch ein großes Ungleichgewicht, als würden sich viele Mädchen einfach nicht an die technischen Berufe wagen,“ bedauert sie. „Dabei zeigt die Praxis, dass die Mädels hier mindestens genauso erfolgreich sind wie die Jungs – sie müssen sich nur trauen!“ Für Louisa Form ist dafür auch ein Umdenken in der Gesellschaft nötig. „Gerade jetzt können die jungen Frauen viel zu einem solchen Wandel beitragen. Wir möchten sie deshalb ermutigen, die Initiative zu ergreifen, im Rahmen von Praktika oder Ferienjobs in die technischen Berufe reinzuschnuppern und sich auch an bisher typisch männlich geprägte Berufsbilder zu wagen, wenn sie daran Spaß haben.“, bestärkt Form. Bei der wenglor sensoric group hat dieses Umdenken bereits stattgefunden: Die Zahl der Mitarbeiterinnen in den technischen Bereichen wächst stetig.
Die Berufswahlaktion wissen was geht! wird von der Wirtschaftsförderung Bodenseekreis GmbH (WFB) organisiert und findet jährlich in den Sommerferien statt. Zahlreiche Ausbildungsbetriebe im Bodenseekreis geben Jugendlichen vom 28. Juli bis 9. September 2022 während Halbtagsveranstaltungen einen Einblick in ihr Unternehmen und stellten attraktive Ausbildungsberufe vor. Beteiligte Institutionen sowie die WFB bieten darüber hinaus Berufsorientierungsangebote an. Schülerinnen und Schüler ab 14 Jahren und aller Schularten können sich ab sofort online unter wissen-was-geht.de kostenfrei für Termine anmelden. Für weiterführende Informationen zu wissen was geht! und bei Fragen steht Ihnen das WFB-Team (+49 7541 38588-0; info@wf-bodenseekreis.de) gerne zur Verfügung.
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