Die Corona-Pandemie ist für die deutsche Finanzpolitik eine echte Bewährungsprobe. Inmitten der Krise hat die Schuldenbremse immer mehr an Rückhalt aus der Bevölkerung verloren. Denn die zunächst robuste Wählergunst für die Schuldenbremse schwand umso mehr, je näher das Inkrafttreten der Schuldenbremse rückte. So unterstützten 2021 nur noch 59 Prozent der Deutschen die Schuldenregeln, während 20 Prozent dieser skeptisch gegenüberstehen. Gut 60 Prozent sprachen sich zudem für eine spätere Rückkehr zu einem ausgeglichenen Haushalt aus. Das zeigt eine repräsentative Befragung unter Beteiligung des ZEW Mannheim.

Die seit 2009 in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes verankerte Schuldenbremse begrenzt seit dem Haushaltsjahr 2016 die strukturelle, also konjunkturbereinigte, Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des BIP. Für die Bundesländer trat das gesetzliche Gebot des Haushaltsausgleichs ab 2020 in Kraft. Die Wissenschaftler untersuchen nun, wie sich die Zustimmung der Bürger/innen zur Schuldenbremse vor und nach ihrer Einführung sowie unter Bezugnahme der Corona-Krise entwickelt hat. Auf Basis des German Internet Panel (GIP) wurden mehrere repräsentative Umfragen zwischen November 2014 bis März 2021 durchgeführt, an der sich bis zu 4.822 Teilnehmende aus allen 16 Bundesländern beteiligten. Die Zustimmung zur Schuldenbremse hat sich bis zu deren Inkrafttreten auf Landesebene zunehmend verschlechtert. Während 2014 noch 69 Prozent der Schuldenbremse zustimmten, sind es 2021 nur noch 59 Prozent. Gleichzeitig stehen 20 Prozent der Befragten der Schuldenbremse skeptisch gegenüber; 2014 waren es noch 15 Prozent. „Sowohl die Aussicht auf das Inkrafttreten der Schuldenbremse in den 16 Bundesländern im Jahr 2020 als auch die pandemiebedingte Krisensituation haben zu einem Popularitätsverlust der Schuldenbremse geführt“, erklärt Dr.  Sebastian Blesse, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ und Koautor.

Eine ähnliche rückläufige Tendenz zeigt sich laut Umfrageergebnisse mit Blick auf die Frage, ab wann Bund und Länder ohne neue Schulden auskommen sollten. Während 2014 noch 33 Prozent der Befragten ausgeglichene Haushalte ab 2020 befürworteten, sind es 2020 lediglich 12 Prozent. Gleichzeitig hat ein wachsender Anteil der Befragten angegeben, dass Bund und Länder überhaupt nicht ohne neue Schulden auskommen sollten (31 Prozent in der Umfrage 2020). „Die Zustimmung für eine frühe Realisierung ausgeglichener Haushalte sinkt bei den Befragten über die Jahre hinweg und der Zeitpunkt für den Verzicht auf eine öffentliche Neuverschuldung wird immer weiter in die Zukunft verschoben“, erläutert ZEW-Wissenschaftler und Koautor Justus Nover die Ergebnisse. Auch die Einhaltung der Schuldenbremse ab dem Jahr 2020 in den Ländern sehen die Befragten zunehmend skeptisch. Etwa 39 Prozent gehen bis zum Jahr 2019 davon aus, dass ihr eigenes Bundesland ab 2020 einen ausgeglichenen Haushalt erzielen wird, während 54 Prozent davon ausgehen, dieses Ziel nicht zu erreichen. Dieser Pessimismus wird durch die Corona-Krise und das Inkrafttreten der Schuldenbremse noch befeuert. Die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung (bzw. Nichteinhaltung) bis März 2021 sinkt bzw. steigt dann auf 14 (bzw. 82) Prozent.

 Die Autoren schließen daraus, dass Bürger/innen mit Blick auf die Schuldenbremse zeitinkonsistente Präferenzen hegen, d.h. eine zukünftige Handlung erscheint ihnen vom Blickwinkel eines späteren Zeitpunkts nicht mehr optimal, obwohl zwischenzeitlich keine wichtigen gegenläufigen Informationen hinzugekommen sind. Denn je näher der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Schuldenbremse rückte, desto eher haben Bürger/innen ihre Wünsche an eine disziplinierte Haushaltspolitik aufgegeben.

Die Corona-Pandemie hat diese Tendenz noch verstärkt. „Eine grundgesetzliche Fixierung der Schuldenbremse kann also dazu beitragen, dass kurzfristige Meinungsänderungen von Politik und Bürger/innen die Regeln der Schuldenbremse nicht verwässern“, sagt Dr. Sebastian Blesse. Download der ZEW-Kurzepxertise

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