Unklare Marschroute
„Das von der EZB ausgerufene symmetrische Inflationsziel bedeutet, dass Abweichungen über und unter zwei Prozent Inflation für die EZB im selben Maße unerwünscht sind. Das ist schön und gut, aber die Märkte interessieren sich viel mehr dafür, was die Zentralbank dagegen tun würde“, sagt Grüner. Gemäß EZB-Ratsmitglied Jens Weidmann könne es vorübergehend zu Abweichungen vom Ziel in beide Richtungen kommen, und die EZB-Politik sei nicht dazu da, Fehler der Vergangenheit auszumerzen. „Die Marschroute wird also nicht gerade konkreter und so beschränken sich die Unterschiede zur ‚außergewöhnlichen Geldpolitik‘ der vergangenen Jahre auf Feinheiten bei der Formulierung“, so Grüner.
Zentrales Problem der Zentralbanken
Aus Grüners Sicht sind diese unkonkreten Äußerungen ein Hinweis darauf, dass die EZB gar nicht in der Lage sei, ihr Inflationsziel präzise zu erreichen. Das läge nicht an der EZB im Speziellen, es gäbe einfach keine Beweise dafür, dass eine Zentralbank ihre Inflationsziele zuverlässig erreichen könne. In dieser Hinsicht säße die EZB im selben Boot wie die Fed, die Bank of England und die Bank of Japan. Trotz ihrer außergewöhnlichen Bemühungen und Ankündigungen in den letzten Jahren hätten alle Zentralbanken ihre Inflationsziele teilweise kräftig verfehlt.
Nicht präzise, nicht vorhersehbar
„Es besteht kein Zweifel daran, dass Zentralbanken Einfluss auf die Inflation haben, welche letzten Endes ein monetäres Phänomen ist. Aber der Grad an Präzision, der von einer derartigen Zielsetzung suggeriert wird, ist irreführend“, erklärt Grüner. „Inflation wird dadurch getrieben, dass zu viel Geld zu wenige Güter und Dienstleistungen jagt. Messungen zur Geldmenge sind alles andere als unfehlbar, die Messung der Geldumlaufgeschwindigkeit ist noch weit weniger perfekt. Die Vorstellung, dass eine Zentralbank diese wichtigen Einflussfaktoren so gut interpretieren und prognostizieren kann, um die Inflation um Bruchteile von Prozentpunkten anzukurbeln oder zu senken, macht keinen Sinn“, sagt Grüner. Der scheinbare Strategiewechsel der EZB versetze sie also auch nicht in die Lage, die Inflation zu kontrollieren und präzise zu steuern. Zudem müsse man nüchtern feststellen, dass die EZB-Politik auch nicht transparenter und konkreter geworden sei. Die EZB würde nach eigener Aussage weiterhin „alles tun, was nötig ist“ – und es würde ebenso schwer bleiben, diese Politik vorherzusagen.
Fazit
„Anleger sollten die ‚neue‘ Strategie der EZB behandeln, wie die ‚alte‘ Strategie auch: Mit emotionalem Abstand und der Gewissheit, dass die EZB ihre Pläne weiterhin an die Realität anpassen wird“, so Grüner. Zentralbanken seien nicht dazu in der Lage, ihre Inflationsziele präzise zu erreichen und sie würden dirigieren die Aktienmärkte nicht dirigieren – auch wenn sich dieser Irrglaube in den letzten Jahren immer wieder hätte durchsetzen können. „Die Geldpolitik setzt immer mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung ein, Aktienmärkte dagegen antizipieren die Zukunft und preisen sämtliche verfügbaren Informationen unmittelbar ein“, fasst Grüner zusammen.
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