Das Assessment-Center (AC) oder Development-Center (DC) ist seit Jahrzehnten in zahlreichen Studien und Metastudien als das vorhersagesicherste aber auch als das aufwendigste Instrument zur Personalauswahl bewertet worden, wenn es gut konstruiert und durchgeführt wird. Es kann auch schlechtere Prognosen liefern als Intelligenztests, wenn es schlecht konstruiert und durchgeführt wird. In einem 1-2-tägigen AC können 80-90 % der erfolgskritischsten Situationen einer zu besetzenden Stelle abgebildet werden.

Jedoch scheuen Unternehmen bei einem professionellen AC oft den zeitlichen und finanziellen Aufwand. Aus diesem Grund haben einige Kunden seit vielen Jahren ihren Prozess der Potenzialanalyse, inklusive aller Organisations- und Bewertungsprozesse an uns ausgelagert. In einem Halb- oder Ganztages AC erfassen wir mit unserer besonderen Herangehensweise auch tieferliegende Überzeugungen und Motive.

Online-Verfahren, wie Online-Assessment-Center sind wichtige, effiziente Zusatzmöglichkeiten der Personaldiagnostik geworden. Sie bieten einige Vorteile, aber auch Nachteile im Vergleich zu Präsenz-Verfahren. Wir fassen einen Vergleich in unserem Beitrag „Vor- und Nachteile von Online-Assessment-Centern“ zusammen. Hierbei verbinden wir wissenschaftliche Erkenntnisse mit dem Feedback unserer Kunden und unserer Erfahrung aus über 20 Jahren AC-Konzeption und Anwendung.

Vorteile von Online-AC’s

  • Leistungstest, Persönlichkeitsfragebögen als Teil eines Online AC´s können online sehr gut angewandt und objektiv ausgewertet werden.
  • Ökonomische Vorteile: Online-Verfahren sind flexibel einsetzbar und können Koordinations- sowie Durchführungsaufwand verringern. Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten für die Bewerber und gegebenenfalls externes Personal, wie externe Beobachter fallen im Online-Verfahren weg. Des Weiteren ersparen Sie sich Raum und Materialkosten (z.B. für Beamer, Flip Charts, Pinnwände).
  • Stabile Anwendungen: Sie haben die Möglichkeit AC´s auf bereits bestehenden digitalen Bewerberplattformen oder auch Teams, Zoom, Cisco-Webex, durchzuführen.
  • Ökologische Vorteile: Der CO2-Fussabdruck wird reduziert.
  • Vorteile bei der asynchronen Bewertung: Gespräche und Übungen können aufgezeichnet und asynchron von Beurteilern bewertet werden.

Nachteile von Online-AC’s

  • Ablenkung im separierten, asynchronen Beurteilungsprozess: Parallelarbeiten in Meetings sind in vielen Organisationen normal geworden, so dass Beobachterinnen und Beobachter ggfs. nicht zu 100% auf die zu bewertende Prüfungssituation, sondern auf einen Chat oder eine E-Mail konzentriert sind. Hat die Beurteilerin oder der Beurteiler vorher Stress gehabt, ist emotional aufgebracht, müde oder wird sie oder er abgelenkt durch Telefonate, oder eine parallele Mailbearbeitung, dann finden Beurteilungsfehler aufgrund des begrenzten Arbeitsspeichers eines Menschen statt. (Hussey, 1986; Spitzer, 2010)
  • Weniger Informationen verwertbar: Fehleinschätzungen sind wahrscheinlicher, da die natürliche Körpersprache, Gestik, Mimik und die paraverbale Kommunikation stark reduziert ist. Varianzen in diesen Kommunikationskanälen sind weniger verfügbar, sodass die Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung wächst (Basch, 2020).
  • Zum Vertrauensaufbau kann man durch die Ergebnisse des „Impression Management“ (Basch et al., 2020) davon ausgehen, dass die von vielen Führungskräften berichtete Notwendigkeit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort aufzusuchen statt Online, um persönliche Begegnung, Vertrauen und Echtheit im Kontakt aufzubauen, wichtig sind. (Wittmann, 1990).
  • Leistungsdifferenz von Online zu Präsenz: Bewerberinnen und Bewerber schneiden bei reinen Online-Interviews schlechter ab als im Präsenz-Setting. Auch die Fairness des Verfahrens ist in sozialer Präsenz der Bewerber mit dem Management besser bewertet. (Basch et al., 2020).
  • Transparenz und Employer-Branding: Viele Menschen wollen wissen, mit wem sie es zukünftig zu tun haben. Es fehlt den meisten Menschen der persönliche Kontakt.
  • Feedback-Klima und -qualität: Der Wunsch nach zeitnahem und für sich nachvollziehbarem Feedback wird durch die stetig zunehmende Zahl an Firmen, die nach dem AC mündlich oder schriftlich Feedback geben, gestärkt (Arbeitskreis Assessment Center, 2016). Persönliche, tiefergehende Feedbacks sind online weniger möglich, da sie eine Vertrauensebene benötigen.
  • Technische Risiken und Einrichtungsaufwand können die Durchführungszuverlässigkeit und wirtschaftliche Gesamtbilanz der AC‘s gefährden, da die nötige IT-Kompetenz häufig ein Engpass in Betrieben ist.
  • Erfahrung mit digitalen Medien als Störvariable: Ältere Bewerberinnen und Bewerber werden eher unterschätzt in der Leistungsfähigkeit, da sie sich schwerer mit den Situationen eines Online AC’s tun. Der Halo-Effekt und implizite Persönlichkeitstheorien der Beurteilenden sind hinsichtlich der Bewerberinnen und Bewerber zu erwarten, die unsicher im Umgang mit digitalen Medien sind (Diagnostik und Testkuratorium, 2018).

Fazit

Online AC´s funktionieren: Sie können aus unserer Erfahrung 80% der Qualität von Präsenz-AC´s erreichen. Zum Aufbau von Vertrauen und Bindung im Sinne von Employer Branding sind sie nur begrenzt und am ehesten für IT affine Berufe geeignet.

Online-Verfahren als Vorauswahl:

Online-Verfahren, z.B. ein Test oder Interview können dem Präsenzverfahren ebenfalls als Vorauswahl vorgeschaltet sein. Die Wirksamkeit als Screening-Instrument zur Vorselektion wurde in den USA bereits evaluiert und dort aufwendigen Verfahren vorgeschaltet (Bauer, 2004). Sie können auch um simulationsbasierte Arbeitsproben ersetzt werden (Oostrom et al., 2010).

Unsere persönliche Erfahrung:

2020/2021 hat personal-point aufgrund der aktuellen Situation viele Online-AC´s genutzt.

Wir nutzen Online-Testverfahren wie Persönlichkeitsfragebögen und Leistungstests. Aus unserer langjährigen Erfahrung heraus wenden wir unseren Persönlichkeitsfragebogen gerne im Vorfeld an, um diesen dann anschließend gemeinsam mit dem Bewerber auszuwerten. Oft können Dimensionen dadurch noch besser verstanden und zugeordnet werden. Wir haben festgestellt, dass alle fachlichen, analytischen Fähigkeiten gut in Online-Verfahren abbildbar sind.  Eine reine Fachvermittlung kann im Online-Verfahren gut vermittelt werden. Die Verfahren können zeitlich und räumlich flexibel gestaltet werden.

Für persönliche Themen sowie Interaktion halten wir allerdings Präsenz-Verfahren für unabdingbar.

Persönlicher Austausch sowie das Gespräch zwischendurch ist wichtig und fehlt uns im Online-Verfahren. Die gesamte Kommunikation kann durch schlechter sichtbare Gestik, Mimik leichter irritiert werden und Missverständnisse können schneller entstehen.

In Präsenz baut sich ein gemeinsames „Feld“ u.a. des Vertrauens auf, welches sich Online aus der Erfahrung heraus so nicht aufbauen lässt. Wissenschaftler konnten diese Angleichung von EEG und Herzratenvariabilität (HRV) in Unterrichtssituationen nachweisen.

Online-Verfahren erschöpfen tiefer und anders als Präsenzverfahren. Zum einen ist langes Sitzen anstrengend (Haltung, verharren in bestimmter Position kann zu Verspannungen führen etc.), zum anderen ist der Blick auf den Monitor für die Augen sehr anstrengend. Auch die Blaulichtkomponenten im PC, senken das für den Schlaf und die Tiefenentspannung verantwortliche Hormon Melatonin. Dadurch kann das Nervensystem des Menschen langfristig nicht mehr zu Ruhe kommen. Wir haben gemerkt, dass Online-Verfahrens-Tage deutlich stärker erschöpfend sind und zwischendurch viel mehr Pausen eingefügt werden müssen.

Wir nutzen Online-Verfahren gerne als Vorauswahl (Tests), schätzen aber den persönlichen Kontakt auf den verschiedenen Ebenen des Menschen und erleben, dass wir der Person, die uns gegenüber sitzt in Präsenz mehr gerecht werden können.

In unseren Halb- oder Ganztagespotenzialverfahren nutzen wir meist eine Kombination aus folgenden Übungen:

  • Selbstpräsentation
  • Konzeptionsübung
  • Testverfahren zur Erfassung von Problemlösefähigkeit/Intelligenz
  • Persönlichkeitsfragebogen
  • Gruppenübungen zu unterschiedlichen Aufgaben/Gruppendiskussionen
  • Führungsrollenspiel
  • Konfliktrollenspiel
  • Selbst-/Fremdbild/Entwicklungschancen

Das Assessment-Center, bzw. der Potenzialtag, wird zu einer Art Arbeitsprobe, welche die typischen und kritischen Situationen auf der Stelle möglichst kompakt und nachvollziehbar abbildet.

Fazit: Um die immer wichtiger werdende Lernfähigkeit und Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstregulation (Self-Mastery) messbar zu machen, benötigt man eine individuell variierende Interaktion, inklusive Feedback des Moderators mit dem Teilnehmer. Um dem Individuum gerecht zu werden, haben wir nicht alles standardisiert. Um Vergleichbarkeit zwischen Kandidaten zu realisieren, sollte so viel Standardisierung wie möglich erfolgen, ohne die Vorteile des dynamisch-adaptiven Testens (Guthke/Wiedl), die entsprechende Anpassung der Aufgabenschwere und des Leistungsgrads zu vernachlässigen. Es geht um mehr Zeit für individuelle, gegenseitige Begegnung und Reflexion! Dazu nutzen wir nach jeder Übung und Situation ein 6-Augen Feedback sowie eine männliche und weibliche Sicht, seitens der Beobachter in der Reflexion.

Online-Verfahren als Vorauswahl

Trotz der oben dargestellten Nachteile können Online-Verfahren dem Präsenzverfahren als Vorauswahl vorgeschaltet sein. Die Wirksamkeit als Screening-Instrument zur Vorselektion wurde in den USA bereits evaluiert und dort aufwendigen Verfahren vorgeschaltet (Bauer, 2004). Sie können auch um simulationsbasierte Arbeitsproben ersetzt werden (Oostrom et al., 2010).

Ob Online oder in Präsenz – Was macht die Qualität von verschiedenen Assessment-Centern (AC) und Development-Centern (DC) in der Personalentwicklung aus?

Die Qualität der Assessment- und Development-Center in der Personalentwicklung variiert sehr stark. Die Qualität ist wissenschaftlich messbar und mit Koeffizienten kennzeichenbar, ähnlich wie die Qualität von anderen Messverfahren der Medizin. Auch dort wollen Menschen keine Fehldiagnose 1 „der ist krank“ (tatsächlich ist die Person gesund) und Fehldiagnose 2 „der ist gesund“ (tatsächlich ist sie aber krank).

Damit ein Verfahren die richtige Prognose über die Qualität zukünftiger Leistung und Passung bringen kann, muss es unter anderem folgende Qualitätskriterien erfüllen:

  • Richtige Messlatte, Anforderungsprofil und Skala
  • Neutralität, Objektivität
  • Messgenauigkeit, Reliabilität
  • Adaptiv hinsichtlich der Leistungsstufe
  • Akzeptanz durch Teilnehmer aufgrund der Feedbackqualität und des Ergebnisberichts
  • Transparenz und Vorabinformation
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