Auf der einen Seite schrumpfte der personengebundene Vertrieb 2018 so stark wie nie und dessen digitale Unterstützung, wenn man die Ergebnisse über die Jahre vergleicht, scheint nur langsam voranzukommen. Vielleicht weil dieser starke Rückgang besonders im gebundenen Vertrieb – zugunsten digitaler Kanäle? – nicht unwillkommen sein könnte?[1]
Andererseits genießen alle Varianten des digitalen (Direkt-)Vertriebs nach wie vor hohe Aufmerksamkeit gerade auch unter Investoren[2]. Dessen Erfolge bleiben aber auch auf Nachfrage besonders im InsurTech-Umfeld häufig vage. Oder was bedeuten konkret Aussagen wie „der wahrscheinlich am stärksten wachsende Sachversicherer bei den Unter-Dreißigjährigen, die sich zum ersten Mal versichern“ zu sein?[3]
Auf der Kundenseite hingegen deuten Befragungen an, dass die bisherigen Digitalisierungsbemühungen beim Kunden nicht zu spürbaren Verbesserungen an den Touchpoints führen[4]. Ähnliches stellen Experten auf der Anbieterseite fest, wenn sie bemerken, dass bisher spürbare Innovationen oder gar disruptive Veränderungen ausgeblieben sind.[5] Dennoch soll eine „zweite Digitalisierungswelle“ vermittels Künstliche Intelligenz (KI) und Blockchain zu „revolutionären“ Effizienz-, Kosten- und Convenience-Steigerungen führen, die sich wie ein „Tsunami“ über die Branche verbreiten[6]. Magisches Denken oder realistische Einschätzung?
Einige Megatrends zeigen sich stabil: (Vergleichs- und Handels-)Plattformen, von Check24 bis zu den immer wieder gerüchteweise genannten GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple) oder neuerdings auch in der fernöstlichen Variante BAT (Baidu, Alibaba, Tencent)[7]; neue Investoren (Fosun beteiligt sich an Finleap[8]) oder potentielle direkte Wettbewerbe wie Ping An: Der wertvollste Versicherer der Welt aus China will international mit seinen einheimisch erprobten digitalen Geschäftsmodellen expandieren[9].
Währenddessen attestieren Managementumfragen, dass mindestens die Hälfte aller Versicherer im deutschsprachigen Raum keine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie hat und mehr oder weniger sinnvoll experimentiert[10].
Vor diesem Hintergrund erstaunen deshalb in unserer Befragung weder die große Konstanz in der hohen Bedeutungseinschätzung vieler Trends, beispielsweise das Schnittstellenthema und der Einsatz von Datenstandards, noch die jüngst bedeutender werdenden Trends wie die (automatisierte) Risikoprüfung und die elektronische Unterschrift am Point of Sale. Allerdings sind dies alles Themen, die seit mindestens zehn Jahren diskutiert werden und deren Umsetzung bei technologisch avancierten Versicherern auch schon (zumindest teilweise) Geschichte ist.
Lange wegen der branchentypisch geringen Kontaktfrequenz kritisch gesehene Kundenportale entwickeln sich weiter zum Toptrend. Mobile Angebote in diesem Zusammenhang (CRM, Beratung, etc.), zu denen es zumindest teilweise inhaltlich und funktional Überschneidungen gibt, bleiben in der Experteneinschätzung aber weiterhin unterdurchschnittlich wichtig, ein starker Hinweis für das Fehlen einer gesamthaften, digitalen Strategie in der Kundenkommunikation.
Generell rangieren Themen wie Mobile Apps oder „Multimedia in der Beratung“ weiterhin am unteren Ende der abgefragten Trends. Einzige Ausnahme: Mobile Applikationen im Schadenmanagement, ein seit Jahren zumindest durchschnittlich eingeschätzter Trend, dessen Um- bzw. Durchsetzung in der Breite aber wohl noch aussteht. Eine Renaissance erleben Angebote zu situativem, kurzfristigem Versicherungsschutz per App, nun wieder einer der zehn stärksten Trends.
Größere Bedeutungsverluste gibt es beim Thema „automatisierte Beratung, Chatbots und Robo-Advice“ zu vermelden. Und wenn man darüber spricht, ist man meist auch schnell bei Themen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), wenn auch bei deren einfacheren Spielarten. Automatisierte Beratung allgemein verliert stark in der Bedeutungseinschätzung und wird nun als viertschwächster Trend gesehen. KI jedoch bleibt stark unter den neuen Technologietrends, allerdings vor allem zur Betrugserkennung im Schadenbereich.
Den größten absoluten Bedeutungsverlust jedoch verzeichnet das Thema Blockchain-Technologie in all seinen Facetten (minus 50% auf 25% Einschätzung als wichtig bzw. sehr wichtig). Auch ein erstes Praxisbeispiel im Testbetrieb in der Rückversicherung scheint daran nichts zu ändern.[11] Offenbar bleibt die Blockchain im Erstversicherungsumfeld vorläufig eine technologische Lösung auf der Suche nach einem Problem.
Insgesamt setzt die Branche weiterhin beim Einsatz von Software auf einen Buy-and-Customize-Ansatz und immer mehr auf Prozess- und Datenstandards im Austausch mit Dritten und bereitet damit implizit Plattformmodellen und cloudfähigen API-Konzepten den Weg.
Insgesamt von einer „zweiten Digitalisierungswelle“[12] zu sprechen, die mehr „Durchschlag“ hat, suggeriert allerdings eine branchenweite Systematik im Vorgehen, die so wohl eher selten existiert. Oder anders formuliert: die Digitalisierung treibt sicher weiter viele Einzelaktivitäten der Branche, aber sie bietet nicht gleichzeitig einen eindeutige Orientierungsrahmen oder eine branchenweite Agenda.
[1] Siehe u.a. „Vermittlerschwund: Auf der Suche nach Gründen“, AssCompact, 15.1.2019
[2] „Deutsche Fintechs erhalten von Investoren mehr als eine Milliarde Euro“, vwheute/be.invalue, 9.1.2019
[3] Warum das InsurTech Getsafe sein Gewand wechselt, AssCompact, 20.01.2019
[4] "Irrelevant und überflüssig" – Studie: Digitale Transformation von Versicherungsunternehmen erreicht Kunden nicht , WMD Brokerchannel, 18.2.2019
[5] EY: "Etwas Disruptives ist bei den Insurtechs heute noch nicht feststellbar", vwheute/be.invalue, 12.2.2019
[6] "Die zweite Digitalisierungswelle wird mehr Durchschlag haben", vwheute/be.invalue, 5.11.2018
[7] Baidu/Alibaba/Tencent vs. Google/Amazon/Facebook/Apple, heise online/TELEPOLIS, 19.6.2018
[8] Fosun hat westlichen Versicherungsmarkt fest im Fokus, vwheute/be.invalue, 31.10.2018
[9] Versicherer vor schwerer Krise, Süddeutsche Zeitung, 24.1.2019
[10] Versicherer sind bei Digitalisierung noch planlos, VersicherungsJournal, 29.1.2019
[11] Projekt RITA: https://www.ritablock.com/
[12] Siehe Fußnote 6 oben
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